Brief 1801-04-14

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Berlin, 14. April 1801

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Wilhelmine von Zenge


Berlin, den 14. April 1801

Liebe Freundin, die paar Zeilen, die Du mir geschrieben hast, atmen zugleich so viel Wehmut und Würde, daß selbst Dein Anblick mich kaum weniger hätte rühren können. Wenn ich mir Dich denke, wie Du in Deinem Zimmer sitzest, mein Bild vor Dir, das Haupt auf die Arme gedrückt, die Augen voll Tränen - ach, Wilhelmine, dann kommt dieser Gedanke noch zu meinem eignen Kummer, ihn zu verdoppeln. Dir hat die Liebe wenig von ihren Freuden, doch viel von ihrem Kummer zugeteilt, und Dir schon zwei Trennungen zugemessen, deren jede gleich gefährlich war. Du hättest ein so ruhiges Schicksal verdient, warum mußte der Himmel Dein Los an einen Jüngling knüpfen, den seine seltsam gespannte Seele ewig-unruhig bewegt? Ach, Wilhelmine, Du bist so vielen Glückes würdig, ich bin es Dir schuldig, Du hast mir durch so vielen Edelmut die Schuld auferlegt - warum kann ich sie nicht bezahlen? Warum kann ich Dir nichts geben zum Lohne, als Tränen? - O Gott gebe mir nur die Möglichkeit diese Tränen einst wieder mit Freuden vergüten zu können! - Liebe, teure Freundin, ich fordre nicht von Dir, daß Du mir den Kummer verheimlichst, wenn Du ihn fühlst, so wie ich selbst immer das süßeste Recht der Freundschaft, nämlich das schwere Herz auszuschütten, übe; aber laß uns beide uns bemühen, so ruhig und so heiter unter der Gewitterwolke zu stehen, als es nur immer möglich ist. Verzeihe mir diese Reise - ja verzeihen, ich habe mich nicht in dem Ausdrucke vergriffen, denn ich fühle nun selbst, daß die erste Veranlassung dazu wohl nichts, als eine Übereilung war. Lies doch meine Briefe von dieser Zeit an noch einmal durch und frage Carln recht über mich aus - Mir ist diese Periode in meinem Leben und dieses gewaltsame Fortziehen der Verhältnisse zu einer Handlung, mit deren Gedanken man sich bloß zu spielen erlaubt hatte, äußerst merkwürdig. Aber nun ist es unabänderlich geschehen und ich muß reisen - Ach, Wilhelmine, wie hätte sich mir noch vor drei Jahren die Brust gehoben unter der Vorempfindung einer solchen Reise! Und jetzt -! Ach, Gott weiß, daß mir das Herz blutet! Frage nur Carln, der mich alle Augenblicke einmal fragt: was seufzest Du denn? - Aber nun will ich doch so viel Nutzen ziehn aus dieser Reise, wie ich kann, und auch in Paris etwas lernen, wenn es mir möglich sein wird. Vielleicht geht doch noch etwas Gutes aus dieser verwickelten Begebenheit meines Lebens hervor - liebe Wilhelmine, soll ich Dir sagen, daß ich es fast hoffe? Ach, ich sehne mich unaussprechlich nach Ruhe! Alles ist dunkel in meiner Zukunft, ich weiß nicht, was ich wünschen und hoffen und fürchten soll, ich fühle daß mich weder die Ehre, noch der Reichtum, noch selbst die Wissenschaften allein ganz befriedigen können; nur ein einziger Wunsch ist mir ganz deutlich, Du bist es, Wilhelmine - O Gott, wenn mir einst das bescheidne Los fallen sollte, das ich begehre, ein Weib, ein eignes Haus und Freiheit - o dann wäre es nicht zu teuer erkauft mit allen Tränen, die ich, und mit allen die Du vergießest, denn mit Entzückungen wollte ich sie Dir vergüten. Ja, laß uns hoffen - Was ich begehre, genießen Millionen, der Himmel gewährt Wünsche gern, die in seinen Zweck eingreifen, warum sollte er grade uns beide von seiner Güte ausschließen? Also Hoffnung und Vertrauen auf den Himmel und auf uns! Ich will mich bemühen, die ganze unselige Spitzfündigkeit zu vergessen, die schuld an dieser innern Verwirrung ist. Vielleicht gibt es dann doch Augenblicke auf dieser Reise, in welchen ich vergnügt bin. O möchten sie auch Dir werden! Fahre nur fort, Dich immer auszubilden, ich müßte unsinnig sein mit den Füßen von mir zu stoßen, was sich zu meinem eignen Genuß von Tage zu Tage veredelt. Gewinne Deinen Rousseau so lieb wie es Dir immer möglich ist, auf diesen Nebenbuhler werde ich nie zürnen. Ich werde Dir oft schreiben, das nächstemal von Dresden, etwa in 8 Tagen. Dahin schreibe mir, aber gleich, und scheue Dich nicht mit eigner Hand die Adresse zu schreiben, unsre Liebe soll kein Geheimnis mehr sein. Den 28. April treffe ich ohngefähr in Leipzig ein, da kannst Du an Minna Clausius schreiben, die mit ihrem Vater dort zur Messe ist, und wieder einen Brief einlegen. Wohin Du auf der ganzen Reise schreibst, mußt Du aber immer den Brief bezeichnen: selbst abzuholen (in Frankreich französisch). - Und nun adieu. Die 73 Rth., wovon Du vergessen hast mir zu schreiben, habe ich Carln gegeben, in der Meinung, daß es Dir so recht sein wird. Adieu, adieu, sei mein starkes Mädchen. Heinrich K.


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