Brief 1807-12-17/02

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Dresden, 17. Dezember 1807

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Wieland, Christoph Martin


Dresden, den 17. Dez. 1807

Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123.

Mein verehrungswürdigster Freund,

Mein Herz ist, wie ich eben jetzt, da ich die Feder ergreife, empfinde, bei dem Gedanken an Sie noch ebenso gerührt, als ob ich, von Beweisen Ihrer Güte überschüttet, Oßmanstedt gestern oder vorgestern verlassen hätte. Sie können mich, und die Empfindung meiner innigsten Verehrung Ihrer, noch viel weniger aus dem Gedächtnis verloren haben, da Ihnen die göttliche Eigenschaft, nicht älter zu werden, mehr als irgend einem andern Menschen zuteil geworden ist. Im März dieses Jahres schrieb ich Ihnen zweimal vom Fort de Joux, einem festen Schloß bei Neufchâtel, wohin ich durch ein unglückliches, aber bald wieder aufgeklärtes, Mißverständnis, als ein Staatsgefangener abgeführt worden war. Der Gegenstand meines Briefes war, wenn ich nicht irre, der Amphitryon, eine Umarbeitung des Molierischen, die Ihnen vielleicht jetzt durch den Druck bekannt sein wird, und von der Ihnen damals das Manuskript, zur gütigen Empfehlung an einen Buchhändler, zugeschickt werden sollte. Doch alle Schreiben, die ich von jenem unglücklichen Fort erließ, scheinen von dem Kommandanten unterdrückt worden zu sein; und so ging die Sache einen ganz anderen Gang. Jetzt bin ich willens, mit Adam Müller, dem Lehrer des Gegensatzes, der hier, während mehrerer Winter schon, ästhetische, von dem Publiko sehr gut aufgenommene, Vorlesungen gehalten hat, ein Kunstjournal herauszugeben, monatsweise, unter dem Titel, weil doch einer gewählt werden muß: Phöbus. Ich bin im Besitz dreier Manuskripte, mit denen ich, für das kommende Jahr, fragmentarisch darin aufzutreten hoffe; einem Trauerspiel, Penthesilea; einem Lustspiel, der zerbrochne Krug (wovon der Gh. Rt. v. Goethe eine Abschrift besitzt, die Sie leicht, wenn die Erscheinung Sie interessiert, von ihm erhalten könnten); und einer Erzählung, die Marquise von O.. Adam Müller wird seine ästh. und phil. Vorlesungen geben; und durch günstige Verhältnisse sind wir in den Besitz einiger noch ungedruckter Schriften des Novalis gekommen, die gleichfalls in den ersten Heften erscheinen sollen. Ich bitte Sie, mein verehrungswürdigster Freund, um die Erlaubnis, S i e in der Anzeige als einen der Beitragliefernden nennen zu dürfen; einmal, in der Reihe der Jahre, da Sie der Erde noch, und nicht den Sternen angehören, werden Sie schon einen Aufsatz für meinen Phöbus erübrigen können; wenn Sie gleich Ihrem eigenen Merkur damit karg sind. Ferner wünsche ich, daß Sie den Hr. Hofrat Böttiger für das Institut interessieren möchten; es sei nun, daß Sie ihn bewegten, uns unmittelbar mit Beiträgen zu beschenken (wir zahlen 30 Rth. p[ro] B[ogen])*, oder auch nur, diese junge literarische Erscheinung im allgemeinen unter seinen kritischen Schutz zu nehmen. Ich werde zwar selbst deshalb meinen Antrag bei ihm machen; doch ein Wort von Ihnen dürfte mich leicht besser empfehlen, als alle meine Dramen und Erzählungen. Ich wollte, ich könnte Ihnen die Penthesilea so, bei dem Kamin, aus dem Stegreif vortragen, wie damals den Robert Guiskard. Entsinnen Sie sich dessen wohl noch? Das war der stolzeste Augenblick meines Lebens. Soviel ist gewiß: ich habe eine Tragödie (Sie wissen, wie ich mich damit gequält habe) von der Brust heruntergehustet; und fühle mich wieder ganz frei! In kurzem soll auch der Robert Guiskard folgen; und ich überlasse es Ihnen, mir alsdann zu sagen, welches von beiden besser sei; denn ich weiß es nicht. - Wo ist denn Louis? Was macht Ihre vortreffliche Tochter Louise? und die übrigen Ihrigen? - Vielleicht, daß ich in kurzem mit Rühle, dem Gouverneur des Prinzen Bernhard, zu Ihnen komme, und mich völlig wieder in Ihrem Gedächtnis auffrische, wenn die Zeit doch mein Bild bei Ihnen ein wenig verlöscht haben sollte. Erfreuen und beehren Sie bald mit einer Antwort Ihren treuen und gehorsamen

Heinrich von Kleist.

  • wir verlegen selbst.

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