Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 112): Unterschied zwischen den Versionen

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werden; und auch Goethe sollte ihn daran nicht hindern. Keiner
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Refrain seiner Selbstbekenntnisse wie seiner Träume. …
 
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Aktuelle Version vom 5. Dezember 2013, 15:05 Uhr

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Nach Pfuels Erzählung (Wilbrandt 1863)

Er hat es seinem Freunde Pfuel oft gesagt, daß es nur das eine Ziel für ihn gebe, der größte Dichter seiner Nation zu werden; und auch Goethe sollte ihn daran nicht hindern. Keiner hat Goethe leidenschaftlicher bewundert, aber auch keiner ihn so wie Kleist beneidet und sein Glück und seinen Vorrang gehaßt. Dem Freunde gestand er in wild erregten Stunden, wie er es meinte: »Ich werde ihm den Kranz von der Stirne reißen«, war der Refrain seiner Selbstbekenntnisse wie seiner Träume. …

Er hatte schon mehr als einen Anlauf nach diesem einzigen Ziel [der Vollendung seines Trauerspiels] genommen; so oft er sah, daß ihm die Kraft noch erlahmte, legte er den Plan zurück und nahm etwas anderes vor; stets aber schwebte ihm als höchste und letzte Leistung der Guiskard vor der Seele - denn nach dessen glücklicher Vollendung wünschte er zu sterben. …

Schon damals trug er seinem Freunde an, mit ihm zusammen zu sterben, und wie von einer fixen Idee gepackt kam er immer von neuem darauf zurück. Pfuel suchte ihn davon zu heilen, indem er ihm nur mit Spott und Humor erwiderte; so sagte er ihm einmal auf einen neuen Antrag dieser Art: »Noch ist es nicht Zeit, warte nur noch: sobald es Zeit ist, werde ich's dir sagen.« Dann lachte Kleist; denn er verstand allezeit guten Spaß, dieser finstere, rätselvolle Mensch; und für einige Zeit war der wilde Wunsch verflogen, um bei gelegener Zeit wie ein fixierter Fiebertraum wieder aufzutauchen.

Pfuel glaubte zuletzt, daß für Kleist und seine Tragödie nichts besser sein werde, als der Wechsel und die Bewegung einer Reise. Er erwies sich hier als der wackerste Freund. Kleist ergriff die Idee mit Eifer und neuem Vertrauen, und indem sich ihm endlich die Zunge löste, schrieb er darüber an Ulrike [3. Juli 1803] …

(Sembdners Quelle: Wilbrandt, Adolf: Heinrich v. Kleist. Nördlingen 1863, S. 174, 188, 199f.)


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