Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 390a): Unterschied zwischen den Versionen

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Johannes Falk. Urania, Taschenbuch für 1812 (Oktober 1811)
  
 
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seinen zerbrochncn Krug oder sein Kätchen von Heilbronn:
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seinen ''zerbrochnen Krug'' oder sein ''Kätchen von Heilbronn:''
 
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Talente Hochachtung. Wäre dem warmen, edeln, biederherzigen,
 
Talente Hochachtung. Wäre dem warmen, edeln, biederherzigen,
geistvollen Gleim ein Genie wie Kleist in den Weg gelaufen:
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geistvollen ''Gleim'' ein Genie wie ''Kleist'' in den Weg gelaufen:
 
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heraufgejauchzt, hereingejubelt haben! Dagegen, wie verkehrt,
 
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die Grenzen der Motive überschreitend, zuweilen an das Barocke
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soll uns denn ein einziger Fehler des trefflichen
 
Mannes gegen alle übrigen Vorzüge, die er besitzt, blind, und
 
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Zuruf [Tabulae votivae]:
 
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::»Daß ihr nicht früh in den Fehler der Mittelmäßigkeit fallet,<br />
»Daß ihr nicht früh in den Fehler der Mittelmäßigkeit fallet,<br />
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::Meidet, ihr Künstler, doch ja keinen der andern zu früh!«
Meidet, ihr Künstler, doch ja keinen der andern zu früh!«
 
  
 
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''(Sembdners Quelle: Falk, Johannes: Über die pantomimischen Darstellungen der Madame Hendel-Schütz. Urania, Taschenbuch f. Damen auf d. Jahr 1812. Leipzig (auch als Sonderdruck Amsterdam 1813), S. 32f.)''
  
 
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Aktuelle Version vom 12. Dezember 2013, 14:51 Uhr

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Johannes Falk. Urania, Taschenbuch für 1812 (Oktober 1811)

Will man ein ganz neues Beispiel dieser Verfahrungsart [dem Genie gegenüber], so sehe man den Empfang, den kürzlich ein kühner, junger, feuriger Genius, Heinrich von Kleist, unter seinen Landsleuten gefunden hat. Hätte dieser reichbegabte, herrliche Kopf weiter nichts geschrieben, als seinen zerbrochnen Krug oder sein Kätchen von Heilbronn: so verdienten, besonders bei der Armut der Deutschen im dramatischen Fach, seine Versuche Aufmerksamkeit, seine Talente Hochachtung. Wäre dem warmen, edeln, biederherzigen, geistvollen Gleim ein Genie wie Kleist in den Weg gelaufen: was meint man wohl, wie er es würde in seinen Arm heraufgejauchzt, hereingejubelt haben! Dagegen, wie verkehrt, wie kalt, wie wenig fordernd, wie lieblos ist fast alles, was dieser junge Dichter, bis jetzt, über seine Produkte öffentlich erfahren hat! Und doch, wieviele Köpfe sind denn dermalen in Deutschland noch übrig, die auch nur eine Seite - was Seite? - die auch nur eine Periode, mit dieser Anmut, mit dieser Originalität, mit dieser Neuheit, mit diesem Feuer im Ausdruck, mit dieser zugleich zarten und ungestümen Glut eines echten shakespearschen Pinsels, wie Kleist im Kätchen von Heilbronn zu schreiben imstande sind? Mag es sein, daß er in diesem Produkt, wie in allen seinen übrigen, die Grenzen der Motive überschreitend, zuweilen an das Barocke streift: soll uns denn ein einziger Fehler des trefflichen Mannes gegen alle übrigen Vorzüge, die er besitzt, blind, und der Mittelmäßigkeit, an der heutzutage fast aller öffentliche Weihrauch wie in Pfennigsgaben verräuchert wird, hold und geneigt machen? Denken wir dafür doch lieber an Schillers Zuruf [Tabulae votivae]:

»Daß ihr nicht früh in den Fehler der Mittelmäßigkeit fallet,
Meidet, ihr Künstler, doch ja keinen der andern zu früh!«

Wahrlich es ist wohl eigen, daß eine Nation wie die deutsche, die jetzt so gern politische Ohnmacht und Blöße mit dem literarischen Ruhm ihrer Klopstocke, Herder, Schiller usw. zudecken möchte, demungeachtet jeden Augenblick vergißt, daß man große Männer am würdigsten in ihren Nachkommen ehrt; und wer sind diese denn sonst, als junge Männer von Genie, die sich mit Mut und Geschick auf die von ihren Vorfahren betretene Bahn wagen?

(Sembdners Quelle: Falk, Johannes: Über die pantomimischen Darstellungen der Madame Hendel-Schütz. Urania, Taschenbuch f. Damen auf d. Jahr 1812. Leipzig (auch als Sonderdruck Amsterdam 1813), S. 32f.)


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