Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 393): Unterschied zwischen den Versionen

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vielleicht nur leises - Wort, Käthchen dergestalt verletzen, daß
sie nun ihn fliehen ''müßte''. Kaum aber flieht sie ihn, so fühlt er
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''sie'' nun ''ihn'' fliehen ''müßte''. Kaum aber flieht sie ihn, so fühlt er
 
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er in ihr verloren habe. Ihre Schmerzen, obwohl die tiefsten,
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er in ihr verloren habe. ''Ihre'' Schmerzen, obwohl die tiefsten,
 
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die ''seinigen'' sich würden so gestaltet haben können. Dennoch
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die ''seinigen'' sich würden ''so'' gestaltet haben können. Dennoch
 
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Aktuelle Version vom 12. Dezember 2013, 15:18 Uhr

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Franz Horn, Geschichte und Kritik der schönen Literatur (1819)

Auch sehr wackere Menschen haben geklagt, daß es ihnen kaum möglich sei, die Mißhandlungen mit anzusehen, denen das liebe Käthchen ausgesetzt werde. Ich erwidre darauf, daß wohl niemand das herrliche Mädchen inniger lieben könne als ich; daß aber meine Anschauung durch jene Mißhandlungen in Beziehung auf das Mädchen selbst gar nicht getrübt werde. Ihre Tugend wird nur immer reiner,je mehr sich die andern an ihr versündigen; und all der Sturm und Staub und Regen, der sie umrauscht, vermag gar nicht, ihre schneeweißen Flügelchen zu verletzen oder zu beflecken, denn es ist als bewegten sie sich in einem ganz eigenen Elemente, das seine aparte Sonne hat. -

Zweitens fühlte der mit sich selbst sehr strenge Dichter gar wohl das Ungenügende in dem letzten Dritteil des Stückes, und hatte den Plan gefaßt, es umzuarbeiten. Dann sollte auch noch zur gänzlichen Beruhigung gewissermaßen ein zweiter Teil folgen. Hier sollte endlich der Graf, durch irgendein - vielleicht nur leises - Wort, Käthchen dergestalt verletzen, daß sie nun ihn fliehen müßte. Kaum aber flieht sie ihn, so fühlt er mit unendlicher Gewalt, wie sehr er an ihr gesündigt und was er in ihr verloren habe. Ihre Schmerzen, obwohl die tiefsten, waren doch immer harmonisch und graziös; wir zweifeln, daß die seinigen sich würden so gestaltet haben können. Dennoch geneset er in jenen Schmerzen zu höherer sittlicher Reinheit und Würde, sie darf ihm am Schlusse vergeben: und das tiefste Glück der geläutertsten innigsten Liebe schließt das Ganze harmonisch.

Das wollte der mutig ringende, edle Dichter; doch die dunkle Stunde endete unsere Hoffnung.

(Sembdners Quelle: Horn, Franz: Umrisse zur Geschichte und Kritik der schönen Literatur Deutschlands während d. Jahre 1790 bis 1818. Berlin 1819, S. 157f.)


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