Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 436e): Unterschied zwischen den Versionen

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der einzelnen Rezensenten, daß sie von der Direktion nicht
 
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zur Sitte einer bekannten Partie, welche zu den dramatischen
 
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Man hat die Oper Die Schweizerfamilie, welche ich seit Jahr
 
Man hat die Oper Die Schweizerfamilie, welche ich seit Jahr
und Tag - als für Berlin - nicht besonders wirksam verworfen,
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in den Zeitungen begehrt. Ich füge mich und lasse die Oper
gegen Überzeugung der vollen Wirksamkeit einstudieren.
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Kaum geschieht dies, als die Zeitungen [Berliner Abendblätter,
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13. November 1810] die Rolle des jungen liebekranken halb irren
 
Schweizer Bäuerinnen-Mädgens entweder für Demoisell
 
Schweizer Bäuerinnen-Mädgens entweder für Demoisell
 
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Schmalz, Madam Müller oder Eunicke verlangen.
  
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Gesang für sie zu hoch. Der Madam Müller zog ich die Demoisell
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Gesang für sie zu hoch. Der ''Madam'' Müller zog ich die ''Demoisell''
 
Herbst vor. Um so mehr, da Herr Kapellmeister Weber auf
 
Herbst vor. Um so mehr, da Herr Kapellmeister Weber auf
 
meine und ihre Bitte die Gesangbildung für diese Partie mit
 
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dieser Rolle zugesagt. …
  
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''(Sembdners Quelle: Geiger, Ludwig: Ein Berliner Theaterskandal 1810. Archiv f. Theatergeschichte, Bd. 1, Berlin 1904, S. 65-85)''
  
 
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Aktuelle Version vom 13. Dezember 2013, 11:08 Uhr

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Iffland an Hardenberg. Berlin, 26. November 1810

Seit mehreren Monaten ist in den hiesigen Zeitungen und Blättern die Direktion gleichgültig, neckend und zugleich so schimpflich behandelt, daß dieses endlich den, welcher diesen Dienst verwaltet, seine Anstalten und ganzes Tun dem Publikum zweifelhaft und lächerlich machen muß.

Bescheidenen Vorstellungen dagegen sind die Landesgesetze der Preßfreiheit entgegengestellt, und so ist es endlich dahin gekommen, daß - aller mich untergrabenden Kränkungen hier nicht zu erwähnen - man im Journal de L'Empire aus Berlin dahingeschrieben: »Die Direktion bettle Urteile der Rezensenten für sich und bezahle sie, ihre Schwäche zu verschweigen.«

Man hat dies mitten in Berlin, sogar in einem hiesigen Blatte [Berliner Abendblätter, 15. November 1810] gesagt. Die Zeitungsredaktoren haben diese Bestechung widerlegt, und man hat die Schmach soweit getrieben - nochmals eine Vernehmung der einzelnen Rezensenten, daß sie von der Direktion nicht bestochen seien, ebenfalls [zu fordern], welche auch erfolgt ist! [Berliner Abendblätter, 21. November 1810] … So ist es nun zur Sitte einer bekannten Partie, welche zu den dramatischen Umwälzern sich gesellet hat, geworden, alles, was ich als Direktor (oder Direktion, je nachdem der Name am besten Feuer fängt) tue und unternehme, außer Kredit zu bringen, als schal, albern, einseitig und widersinnig dem Publikum darzustellen.

Man hat die Oper Die Schweizerfamilie, welche ich seit Jahr und Tag - als für Berlin - nicht besonders wirksam verworfen, in den Zeitungen begehrt. Ich füge mich und lasse die Oper gegen Überzeugung der vollen Wirksamkeit einstudieren.

Kaum geschieht dies, als die Zeitungen [Berliner Abendblätter, 13. November 1810] die Rolle des jungen liebekranken halb irren Schweizer Bäuerinnen-Mädgens entweder für Demoisell Schmalz, Madam Müller oder Eunicke verlangen.

Demoisell Schmalz könnte ein kindliches Mädchen nicht geben, Madam Eunicke ist nicht für dieses ernste Fach und der Gesang für sie zu hoch. Der Madam Müller zog ich die Demoisell Herbst vor. Um so mehr, da Herr Kapellmeister Weber auf meine und ihre Bitte die Gesangbildung für diese Partie mit ihrer hübschen Stimmfähigkeit übernommen hatte. So ward die Oper gut besetzt, mit allem Fleiße eingeübt. Derweile fuhr jede Zeitung fort, das Publikum gegen diese Besetzung als ein himmelschreiendes Unrecht einzunehmen und aufzufordern. Es wird auf öffentlichen Plätzen gegen Demoisell Herbst geworben und ihr, die still, arbeitsam, willig und sittsam vor sich hinlebt, ein öffentlicher Schimpf bei dem ersten Auftreten in dieser Rolle zugesagt. …

Die Oper begann [bei der Wiederholung am 26. November] ruhig. Demoisell Herbst kommt in der 4. Szene ersten Aktes. Man ließ sie während einen langen Ritornelles ruhig bis vornhin gehen. Als sie eben zu singen beginnen wollte, erhub sich - das gewöhnliche Zeichen - ein applaudissement, worauf ein heftiges Pfeifen, Husten und Lachen erfolgte. Nachdem dies lange angehalten, fing sie an zu singen; man ließ dies eine Weile geschehen und der vorige Unfug begann wieder. Dann einzelnes Husten, Lachen, Blöcken, Pfeifen im Trillerschlage und wieder Pochen.

Darauf traten Herr Beschort und Herr Gern hinzu, und nachdem diese eine Weile zu spielen versucht hatten und stets von Pfeifen, Pochen, Husten und Lachen gestört waren - ließ ich endlich den Vorhang hinabfallen, den Schauspieler Berger aber annoncieren, »man werde versuchen, eine andere Vorstellung zu geben« - welches denn auch binnen einer Viertelstunde mit den Geschwistern von Goethe in 1 Akt und der Oper Der Schatzgräber geschehen ist.

Von wem kommt diese, in jedem Sinn heillose Kabale? - Denn daß sie das ist und nach ihrem Humor wirkt, längst gewirkt hat und fortfährt zu wirken, wird wohl niemand in Abrede sein …

(Sembdners Quelle: Geiger, Ludwig: Ein Berliner Theaterskandal 1810. Archiv f. Theatergeschichte, Bd. 1, Berlin 1904, S. 65-85)


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