Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 62a)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Wilhelmine von Zenge an ihren Verlobten Professor Krug (1803)

Er reisete mit seiner Schwester nach Paris, schrieb mir anfänglich oft, doch als ich seit drei Monaten von ihm keine Nachricht erhalten hatte, schrieb er mir - er werde sich in der Schweiz ankaufen, und hoffe, ich werde ihm dorthin folgen wenn er mich abholte. Ich bat ihn mit den rührendsten Ausdrücken in sein Vaterland zurückzukehren, und gestand, daß ich ihm zwar folgen wolle wohin er ginge, doch würde es mir sehr schwer werden, meine Eltern zu verlassen, und besonders, mich so weit von ihnen zu entfernen. Ehe dieser Brief beantwortet wurde, mußte ich 5 Monate alle Posttage vergebens auf Antwort warten. Meine Hoffnung, und die Erwartung von einer frohen Zukunft, waren schon längst in mir gesunken, ich sagte mir es oft daß ich mit dem Manne nie glücklich sein würde, da ich nicht imstande war, ihn glücklich zu machen. Doch wollte ich mein Wort halten und mich ganz für ihn aufopfern. Ich war ihm so viel Dank schuldig, und nahm so innig Anteil an allem was ihm betraf, daß ich wenigstens hoffte ihn wo nicht beglücken, doch aufheitern zu können. Ich kannte seine Wünsche und wußte mich so gut in seinem sonderbaren Wesen zu schicken, daß ich überzeugt war, es könne außer mir kein weibliches Wesen mit ihm fertig werden. Nach fünf Monaten erfuhr ich endlich durch seine Schwestern wo er sich aufhielt, ich schrieb an ihn, und bekam zur Antwort [20. Mai 1802] - er habe nicht erwartet von mir noch einen Brief zu empfangen, sondern habe mein letztes Schreiben als eine Weigerung angesehen ihm nach der Schweiz zu folgen. Nach einem heftigen Kampfe habe er es endlich dahin gebracht mein Bild aus seiner Seele zu entfernen, er bäte mich deshalb nicht wieder an ihn zu schreiben. Da er durch Leichtsinn in Berlin sein Amt verscherzt habe, und seine Reise die Menschen zu großen Erwartungen von ihm berechtigt habe, so könne er nicht ohne Ruhm wieder in sein Vaterland zurückkehren. Sein einziger Wunsch sei jetzt bald sein Leben zu enden. – Dieser Brief erschütterte mich tief, doch beweinte ich mehr sein trauriges Schicksal als das meine. Ich sah es ein daß ich nie die Seine werden konnte, und hatte auch schon lange aufgehört es zu wünschen. Ich hatte die Kraft mich von seinem Gemälde zu trennen, welches ihm sehr ähnlich war, schrieb noch einmal an ihn, tröstete ihn als Freundin, und sagte er möchte wenigstens seine Freundin nicht vergessen, sondern mir zuweilen schreiben wie es ihm ginge, denn gewiß würde ich immer den lebhaftesten Anteil an seinem Schicksal nehmen. Hierauf hat er nicht geantwortet.

Zu gleicher Zeit verlor ich einen sehr geliebten Freund und Bruder, – mein Schmerz war unbeschreiblich. Ich wurde sehr krank, und mein einziger Wunsch war bald zu sterben, denn mein Leben hatte für mich alles Interesse verloren. Der Schmerz meiner Eltern, welche auch durch den Tod meines Bruders einen großen Teil ihres Glückes verloren hatten, erinnerte mich daß ich noch Pflichten zu beobachten habe. Ich verbarg meinen Schmerz, um sie zu trösten, und meine einzige Linderung waren heftige bittere Tränen. Die Welt, und besonders die Männer waren mir sehr gleichgültig geworden, nur Ahlemann war mein Vertrauter, er weinte mit mir, und tröstete mich. Mit der Zeit sahe ich es ein daß diese Trennung zu meinem Glücke sei, und dankte dem großen Führer der Menschen für meine ertragenen Leiden, denn ich fühlte daß sie mich zu einem besseren Wesen gemacht hatten. …

Die offene Mitteilung meiner Jugendgeschichte wird Sie nicht beunruhigen, sie ist so wahr, wie ich immer gegen Sie sein werde. Wenn Sie nicht der Einzige waren der mein Herz rühren konnte, so kann ich doch versichern, daß ich noch nie so von ganzem Herzen liebte, als ich Sie liebe, und daß der Entfernte nur noch als ein erhabenes Mittel, wodurch der gütige Schöpfer meine Veredlung bewirken wollte, in meinem Herzen thront.

(Sembdners Quelle: Krug-Genthe, Martha: H. v. Kleist und Wilhelmine v. Zenge. The Journal of English and Germanic Philology. Bd. 6, Baltimare 1907, S. 432-445. (Verbesserter Abdruck nach dem Original in der Dt. Staatsbibl. Berlin))


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