Heinrich von Kleists Nachruhm (NR 19c)

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Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichten in Dokumenten. Herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle NR und laufender Nummer zitiert.]


An den Lobredner des Herrn von Kleist und der Frau von Vogel

Freund! Schön und edel ist Ihr Unternehmen: gefallene Seelen vor der unbarmherzigen Welt zu verteidigen [s. LS 540], aber verteidigen Sie den Fall statt der Gefallenen nicht. Wenn der Mensch gegen den eisernen Arm des Schicksals kämpft, so zeigen Sie der Welt die großen Momente, wo die starke Brust den schweren Streichen trotzt, und die große Seele siegreich unter des Geschickes Stürmen dahin schreitet. So werden Sie mancher leidenden Seele zum Retter, die mutlos sich dem Schicksale ergeben will; ihr Carmen stählet die zagende Brust, und dankbar bekränzt Sie mit Lorbeern die Menschheit!

Doch bemühen Sie sich nicht, den Leichnam gefallener Helden zur Schau auszustellen, die gähnenden Wunden mit anatomischem Eifer zu betasten und mit ästhetischer Begeisterung ihre Breite, Länge und Tiefe, und ihre Tödlichkeit zu rühmen. [...] Freund, das Schicksal siegt so leicht über die Menschen; Sie brauchen ihm nicht den Sieg zu erleichtern, indem Sie dessen Triumph über die Menschheit in der Hingebung einzelner Menschen besingen wollen! Es gibt Unglück genug in der Welt; Sie brauchen es nicht zu vermehren, indem Sie mit anlockendem Gesange schwächere Herzen zu ähnlichem Falle aufmuntern wollen — Herzen, die nicht groß genug zum Leben alle menschliche Größe ins Sterben setzen. Gibt es denn sonst keine Größe für den Menschen, als im Tode? Und wenn Ihnen auch diese die einzige schwächern Seelen erreichbare Größe dünken sollte, so werfen Sie erst einen Blick auf die unseligen Folgen für die zurückgelassenen mitverketteten, vielleicht auch edlen Seelen. Vielleicht besinnen Sie sich, zur Nachahmung zu reizen, und manchem edlen Gatten die Quelle unheilbarer Leiden, mancher guten Familie der Räuber ihrer Ruhe und ihres Glückes zu werden.

Regensburg, den 14. Dez. 181I J. F. W.

(Regensburger polit. Zeitung, 16. 12. 1811)


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