Brief 1801-12-02

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Frankfurt am Main, 2. Dezember 1801

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Wilhelmine von Zenge


An Fräulein Wilhelmine v. Zenge zu Frankfurt a. Oder.

Frankfurt am Main, den 2. Dezember 1801

Liebe Wilhelmine, ich fürchte nicht, daß Dich Ulrikens Ankunft ohne mich schmerzhaft überraschen wird, da ich Dich bereits von Paris aus darauf vorbereitet, und Dir meinen Plan, noch in diesem Winter nach der Schweiz zu reisen, darin mitgeteilt habe.

Deinen Brief habe ich noch in Paris, noch an dem Morgen meiner Abreise, fast kaum eine Stunde ehe ich mich in den Wagen setzte, erhalten - Ob er mir Freude gemacht hat - ?

Liebe Freundin, ich möchte nicht gern an Deiner Liebe zweifeln müssen, und noch wankt mein Glaube nicht - Wenn es auch keine hohe Neigung ist, innig ist sie doch immer, und noch immer, trotz Deines Briefes, kann sie mich glücklich machen.

Ich wüßte kein besseres, herzlicheres Mittel, uns beide wieder auf die alte Bahn zu führen, als dieses: laß uns beide Deinen letzten Brief vergessen.

Herzlich lieb ist es mir, daß ich ihn nicht gleich in der ersten Stimmung beantwortete, und daß ich auf einer Reise von 15 Tagen Zeit genug gehabt habe, Dich zu entschuldigen. Ich fühle nun, daß ich doch immer noch auf Deine Liebe rechnen kann, und daß Deine Weigerung, mir nach der Schweiz zu folgen, auf vielen Gründen beruhen kann, die unsrer Vereinigung gar keinen Abbruch tun.

Deine Anhänglichkeit an Dein väterliches Haus ist mir so ehrwürdig, und wird mir doch, wenn Du mich nur wahrhaft liebst, so wenig schaden, daß es gar nicht nötig ist, das mindeste dagegen einzuwenden. Sind nicht fast alle Töchter in demselben Falle, und folgen sie nicht doch, so schwer es ihnen auch scheint, dem weisen Spruche aus der Bibel: Du sollst Vater und Mutter verlassen und Deinem Manne anhangen?

Wenn Du mich nur wahrhaft liebst, wenn Du nur wahrhaft bei mir glücklich zu werden hoffst - Und da mochte freilich in meiner ersten Einladung, aus Furcht Dich bloß zu überreden, zu wenig Überzeugendes, zu wenig Einladendes liegen.

Deine ganze Weigerung scheint daher mehr ein Mißverständnis, als die Frucht einer ruhigen Prüfung zu sein. Du schreibst Dein Körper sei zu schwach für die Pflichten einer Bauersfrau - und dabei hast Du Dir wahrscheinlich die niedrigsten ekelhaftesten gedacht. Aber denke Dir die besseren, angenehmeren, denke daß Dir in einer solchen Wirtschaft, wie ich sie unternehmen werde, wenigstens 2 oder 3 Mägde zur Seite gehen - wirst Du auch jetzt noch zu schwach sein?

Liebe Wilhelmine, wenn Du Dich jetzt nicht recht gesund fühlst, so denke, daß vielleicht Dein städtisches Leben an manchem schuld sei, und daß gewiß die Art der Arbeit, die ich Dir vorschlage, statt Deine Kräfte zu übersteigen, sie vielmehr stärken wird. Aufblühn wirst Du vielleicht - Doch ich verschweige alles, was nur irgend einer Überredung ähnlich sehen könnte. Freiwillig und gern mußt Du mir folgen können, wenn nicht jeder trübe Blick mir ein Vorwurf sein soll. - Dennoch würde ich mehr hinzusetzen, wenn ich nur mit voller Überzeugung wüßte, daß Du mich nicht weniger innig liebst, als ich es doch notwendig bedarf. Manche Deiner Gründe der Weigerung sind so seltsam - Du schreibst, Kopfschmerzen bekämst Du im Sonnenschein - Doch nichts davon. Alles ist vergessen, wenn Du Dich noch mit Fröhlichkeit und Heiterkeit entschließen kannst. Ich habe Dir kurz vor meiner Abreise von Paris alles gezeigt, was auf dem Wege, den ich Dich führen will, Herrliches und Vortreffliches für Dich liegt. Die Antwort auf diesen Brief soll entscheidend sein. Du wirst ihn wahrscheinlich schon nach Bern geschickt haben, und ich ihn dort bei meiner Durchreise empfangen. Es wird der Augenblick sein, der über das Glück der Zukunft entscheidet. Heinrich Kleist.

N. S. Louisens Vorschlag ist mir um des Wohlwollens willen, das ihn gebildet hat, innig rührend. Aber wenn ich auch, als ich Deinen Brief erhielt, meinen Koffer noch nicht durch die Post nach Bern geschickt gehabt hätte, so würde ich doch nicht haben nach Frkft. zurückkehren können, wenigstens jetzt noch nicht. Denn ob ich gleich alle die falschen Urteile, die von Gelehrten und Ungelehrten über mich ergehen werden, in der Ferne ertragen kann, so wäre es mir doch unerträglich gewesen, sie anzuhören, oder aus Mienen zu lesen. Ich kann nicht ohne Kränkung an alle die Hoffnungen denken, die ich erst geweckt, dann getäuscht habe - und ich sollte nach Frft. zurückkehren? Ja, wenn Frft. nicht größer wäre, als der Nonnenwinkel - Küsse Louisen, und bitte sie ein gutes Wort für mich bei Dir einzulegen. Sage ihr, daß wenn mir keine Jugendfreundin zur Gattin würde, ich nie eine besitzen würde. Das wird sie bewegen -

Carln hätte ich eigentlich notwendig schreiben müssen wegen Johann. Es ist mir aber unmöglich und ich bitte Dich, ihn zu benachrichtigen, daß dieser Mensch mich auf eine unwürdige Art, 2 Tage vor der Abreise, da schon die Pferde gekauft waren, in Paris verlassen hat. Wäre er mir nur halb so gut gewesen, als ich ihm, er wäre bei mir geblieben - Gibt es denn nirgends Treue? - - Ach, Wilhelmine -!


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