Brief Brief 1807-07-14

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Chalons sur Marne, 14. Juli 1807

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Ulrike von Kleist


Endlich, meine vortreffliche Ulrike, ist, wahrscheinlich auf Deine wiederholte Verwendung, der Befehl vom Gen. Clarke zu meiner Loslassung angekommen. Ich küsse Dir die Stirn und die Hand. Der Befehl lautet, daß ich, auf Ehrenwort, eine vorgeschriebene Straße befolgen, und mich in Berlin beim Gen. Clarke melden soll, der mich sprechen will. So mancherlei Gedanken mir dies auch erregt, so würde ich doch sogleich meine Reise antreten, wenn ich nicht unpäßlich wäre; wenn man nicht die Unedelmütigkeit hätte, mir die Diäten zu verweigern, die ich mir jedoch noch auszuwirken hoffe; und wenn ich nicht einen Wechsel vom Buchhändler Arnold aus Dresden erwarten müßte, für ein Manuskript, das Rühle daselbst verkauft hat, und von dem er mir geschrieben hat, daß er um diese Zeit abgehen würde. Alle diese Gründe sind schuld daran, daß sich meine Abreise vielleicht noch 54 Tage oder 3 Wochen verspäten wird; doch da sich der Frieden jetzt abschließt, und nach dem Abschluß auch die Auswechselung der Gefangenen sogleich vor sich gehen muß, so ergibt sich vielleicht alsdann eine so viel wohlfeilere Gelegenheit, abzureisen, wenn gleich der Aufenthalt bis dahin hier so viel kostspieliger wird, da ich keinen Sold mehr beziehe.

Die Absicht dieses Briefes ist, Dir, nach der Mitteilung dieser Nachricht einen Vorschlag zu machen. Die Kl[eisten] hat mich versichert, daß die Pension von der K[önigin] nach dem Abschluß des Friedens wieder ihren Fortgang nehmen würde. Da jedoch hierin wenig Sicherheit liegt: denn wer steht uns für einen neuen Krieg? so ist der Plan, diese Pension, bei der nächsten Gelegenheit, in eine Präbende zu verwandeln; und hierin läge dann schon mehr Sicherheit. Wir wollen einmal annehmen, daß uns das Glück auf diese Art günstig wäre; daß ich vorderhand die Pension, und in einiger Zeit, statt ihrer, die Präbende erhielte: was ließe sich wohl damit anfangen?

Ich versichre Dich, meine teuerste Ulrike, daß mir Deine Lage, und das Schmerzhafte, das darin liegen mag, so gegenwärtig ist, als Dir selbst. Ich weiß zwar, daß Du Dich in jedem Verhältnis, auch in dem abhängigsten, würdig betragen würdest; doch die Forderungen, die Dein innerstes Gefühl an Dich macht, kannst Du nicht erfüllen, so lange Du nicht frei bist. Ich selbst kann in keiner Lage glücklich sein, solange ich es Dich nicht, in der Deinigen, weiß. Ohne mich würdest Du unabhängig sein; und so mußt Du (ich fühle die Verpflichtung auf mich, was Du auch dagegen einwenden mögest), Du mußt es auch wieder durch mich werden. Wenn ich mit Äußerungen dieser Art immer sparsam gewesen bin, so hatte das einen doppelten Grund: einmal, weil es mir zukam, zu glauben, daß Du solche Gefühle bei mir voraussetzest, und dann, weil ich dem Übel nicht abhelfen konnte.

Doch jetzt, dünkt mich, zeigt sich, ein Mittel ihm abzuhelfen; und wenn Du nicht willst, daß ich mich schämen soll, unaufhörlich von Dir angenommen zu haben, so mußt Du auch jetzt etwas von mir annehmen. Ich will Dir die Pension, und das, was in der Folge an ihre Stelle treten könnte, es sei nun eine Präbende, oder etwas anderes, abtreten. Es muß, mit dem Rest Deines Vermögens, für ein Mädchen, wie Du bist, hinreichen, einen kleinen Haushalt zu bestreiten. Laß Dich damit, unabhängig von mir, nieder; wo, gleichviel; ich weiß doch, daß wir uns über den Ort vereinigen werden. Ich will mich mit dem, was ich mir durch meine Kunst erwerbe, bei Dir in die Kost geben. Ich kann Dir darüber keine Berechnung anstellen; ich versichre Dich aber, und Du wirst die Erfahrung machen, daß es mich, wenn nur erst der Frieden hergestellt ist, völlig ernährt. Willst Du auf diese Versicherung hin nichts tun, so lebe die erste Zeit noch bei Schönfeld, oder in Frankfurt, oder wo Du willst; doch wenn Du siehst, daß es damit seine Richtigkeit hat, alsdann, mein liebstes Mädchen, versuche es noch einmal mit mir. Du liesest den Rousseau noch einmal durch, und den Helvetius, oder suchst Flecken und Städte auf Landkarten auf; und ich schreibe. Vielleicht erfährst Du noch einmal, in einer schönen Stunde, was Du eigentlich auf der Welt sollst. Wir werden glücklich sein! Das Gefühl, mit einander zu leben, muß Dir ein Bedürfnis sein, wie mir. Denn ich fühle, daß Du mir die Freundin bist, Du Einzige auf der Welt! Vergleiche mich nicht mit dem, was ich Dir in Königsberg war. Das Unglück macht mich heftig, wild, und ungerecht; doch nichts Sanfteres, und Liebenswürdigeres, als Dein Bruder, wenn er vergnügt ist. Und vergnügt werde ich sein, und bin es schon, da ich den ersten Forderungen, die meine Vernunft an mich macht, nachkommen kann. Denke über alles dies nach, meine teuerste Ulrike; in Berlin, wo ich Dich noch zu finden hoffe, wollen wir weitläufiger mit einander darüber reden. In drei Wochen spätstens muß ich hier abgehen können; und in der fünften bin ich dann in Deinen Armen. Adieu, grüße Gleißenberg. Dein Heinrich, Chalons, den 14. Juli [1807].

N. S. Ich muß Dir sagen, meine teuerste Ulrike, daß ich mich anders entschlossen habe. Man hat mir die Reiseentschädigung bewilligt; und da ich mir den Wechsel von Rühlen, gesetzt er wäre schon von Dresden abgegangen, nach Berlin nachschicken lassen, und dort immer Handlungshäuser sein müssen, die hier Forderungen haben, und bei denen er folglich geltend gemacht werden kann: so will ich mich, auf jene Ungewißheit hin, nicht länger aufhalten, sondern sogleich abgehen. Ich habe Rühlen geschrieben, daß wenn der Wechsel noch nicht abgegangen ist, er jetzt zu Dir nach Berlin geschickt werden soll. Tue mir doch den Gefallen, und wiederhole schriftlich diese Bestimmung an ihn, wenn Du irgend seine Wohnung in Dresden genau erfahren kannst; denn da ich zwischen zwei unglücklichen Hausnummern immer geschwankt habe, so fürchte ich noch obenein, daß ihn mein Brief verfehlt. Auch inliegenden Brief an die Kleisten bitte ich mit der Adresse zu versehen, weil ich lange nichts von ihr gesehen habe, und nicht weiß, ob sie noch in Leuthen ist. In drei, spätstens vier Tagen gehe ich hier, und wenn ich es irgend möglich machen kann, mit dem Kurier, ab, reise Tag und Nacht, und bin in 14 höchstens 16 Tage, bei Dir. Adieu. Ich drücke Dich im voraus schon an meine Brust. Grüße Gl[eißenbergs] und alles, was mir ein wenig gut ist.

H. K.


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